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Im Rausch des Bernsteins – der historische Osten Deutschlands – ein Plädoyer für die Menschlichkeit


Ein Essay von Dr. Katja Banik

Flucht aus Königsberg, i. Preußen im Januar 1945


Mein liebstes Vaterchen,

Wir wollten rausgehen und auf einmal kamen Flugzeuge und – Rum, Rum – die Bomben fielen, ohne dass Alarm kam. Und von da an wurde es sehr unruhig und wir hörten das Artilleriefeuer sehr laut.

… und wollten zurück ins Reich fahren, denn es war höchste Zeit. Sonntagnachmittag versuchten wir auf einen Dampfer rauf zukommen, aber wir wurden immer mit Bord Waffen beschossen. In der Nacht fuhren wir mit einem Eisbrecher nach Pillau, denn es war sehr ruhig. Am Vormittag kamen wir in Pillau an und stiegen gleich in einen großen Frachter „Götting“ und kamen nach 8 Tagen in Swinemünde an und von da aus fuhren wir nach Güstrow mit dem Zug.

Nun will ich schließen und wir wollen hoffen, dass der Krieg bald ein Ende hat.

(Güstrow, 10.2.1945, Auszug aus dem Brief meiner Mama Eva-Maria an ihren Vater Paul Kuhrau)


Für meine Mama

1944, einige Monate vor der Flucht aus Königsberg


Die Eroberung Ostpreußens


Unermessliches Leid und Elend auf der ganzen Welt in den Jahren 1944/1945. Diese Jahre zählen sicherlich zu den schrecklichsten Zeiten in der Menschheitsgeschichte.

Und in jenem Winter 1944/1945, einem der strengsten Winter in Ostpreußen, begann ein grauenhaftes Kapital der deutschen Geschichte: die Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee. Aufgepeitscht durch die Ideologien der NS-Diktatur und durch den Stalinismus und voller Wut und Rache stießen zwei Großmächte aufeinander: Deutschland und Russland. Soldaten beider Seiten im blinden ideologischen Wahn brachten unendliches Leid und Tod über die Menschen. Opfer auf deutscher Seite war vor allem die ostpreußische Zivilbevölkerung. Hitler und seine Berater hatten kaum Bezug zum Osten Deutschlands. Die Wehrmacht war dort schwach aufgestellt; in erster Linie war wichtig, die Westfront zu halten. Der Osten Deutschlands wurde seinem Schicksal überlassen. Die Evakuierung wurde mehrfach abgelehnt, der Befehl lautete: „Ostpreußen wird gehalten, eine Räumung kommt nicht in Frage.“ Die Festung Königsberg sollte aus Propagandagründen nicht aufgegeben werden. Schlussendlich kam der Evakuierungsbefehl Ostpreußens dann viel zu spät.

Und so wurde die ostpreußische Zivilbevölkerung, mehrheitlich Ältere, Frauen und Kinder, geopfert, wohl wissend um deren bevorstehendes Schicksal. Sie fielen in die Hände der Soldaten der Roten Armee, die verblendet durch Propaganda gegen das verhasste Preußentum, grausam Rache insbesondere an Frauen und Kindern nahmen. „Die Rote Armee hat im Zuge der Operation Ostpreußen die Heimstätte des deutschen Imperialismus erobert", hieß es. Angst, Vergewaltigungen und Ermordungen waren an Tagesordnung.


Der weinende Soldat und das Baby – An Bord des Frachters Göttingen, Januar 1945

Meine Familie mütterlicherseits – meine Großmutter mit ihren drei Kindern – flohen am Abend des 28. Januar 1945 mit einem Eisbrecher aus Königsberg und kamen am nächsten Morgen in Pillau an. Mit etwa 3.000 Flüchtlingen und 2.500 Leichtverletzten an Bord verließ der Frachter Göttingen am selben Tag gegen 19 Uhr Pillau. Meine Mama, ihre Mutter und ihre Schwestern schliefen in der Funkkabine auf dem Boden. Plötzlich sprang der Funker auf, zitterte am ganzen Körper und rief: „Die Gustloff ist getroffen.“

In dieser Nacht wurden 28 Überlebende aus dem eiskalten Wasser gerettet. Meine Mama sah, wie zwei Soldaten eine tote Frau aus der Ostsee holten, die noch ihr Baby im Arm hielt, das fürchterlich weinte. Als die beiden Soldaten an Bord waren, nahm einer das Baby aus den Armen der toten Mutter und begann ebenfalls bitterlich zu weinen. Mama sagte, sie werde dieses Bild nie vergessen: der weinende Soldat mit dem Baby im Arm.

In Swindemünde gingen alle von Bord. Und nur wenige Tage später wurde auch die Göttingen torpediert und sank am 23. Februar 1945 vor Libau-Reede. Fünfhundert Menschen starben.


Wer Glück hatte, kam, traumatisiert durch die schrecklichen Erlebnisse der Flucht und Vertreibung übers Haff, über die Kurische Nehrung oder über die Ostsee schlussendlich in Westdeutschland an. Alle Vertriebenen mussten von nun an ihr Leben fernab der geliebten Heimat wieder neu aufbauen. Klaglos nahmen sie ihr Schicksal an. Für eine Verarbeitung von Kriegstraumata war keine Zeit. So blieben das menschliche Leid und die Sehnsucht nach der geliebten Heimat vergraben in den Seelen und verschüttet unter den Trümmern und Ruinen Deutschlands.


Entwurzelung und der einsame Tod


Nach einer ungefähren Schätzung mussten etwa 14 Millionen Flüchtlinge ihre Heimat verlassen, verloren alles, ihr gesamtes Hab und Gut. Ca. 2 Millionen kamen bei der Flucht ums Leben. Deutschland verlor ein Viertel seines Territoriums. Flüchtlinge und Vertriebene wurden, im Gegensatz zu denen, die im Jahr 2015 ankamen, nicht mit Applaus und Teddybären empfangen.


Ganz im Gegenteil: Sie waren alles andere als willkommen bei der Mehrheit der Westdeutschen. Fürchteten jene doch, ihren Besitz mit diesen „Barbaren aus dem Osten“ teilen zu müssen.

Für viele galten die Ostgebiete als rückständig und die Menschen, die dort lebten, waren „eh nur ungebildetes Gesocks“. Verkannt wurde, dass Preußen in vielfacher Hinsicht damals weitaus fortschrittlicher war als Westdeutschland. Da es keine Willkommenskultur wie 2015 gab, mussten die Alliierten die Zwangseinquartierung organisieren.


Meine Familie mütterlicherseits wurde in Barmstedt, Schleswig-Holstein, in einem nur 12qm großen Zimmer untergebracht. Darin lebten meine Großeltern und ihre 3 Kinder. Alle Möbel und Teppiche wurden vor deren Augen ausgeräumt, nur ein Bild mit einem biblischen Spruch hing noch an der Wand.

Meine Oma bat daraufhin die Hausherrin, diesen Spruch bitte auch abzuhängen, mit der Bemerkung, sie könnten sich schließlich nicht daraufsetzen. Was sie dann mit hochrotem Kopf auch tat.


So war das damals und so ging wohl die Mehrheit der Deutschen mit ihren eigenen Landsleuten um. Westdeutschland hegte Vorurteile gegenüber den Flüchtlingen und den Vertriebenen, waren sie doch „Untermenschen“ – das Flüchtlingspack. Gerade in Schleswig-Holstein war diese Einstellung weit verbreitet, denn mit einem Anteil von ca. 33% Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung im Jahr 1950, hatte das Land den höchsten Flüchtlingsanteil in Deutschland. Auch deshalb hatte es meine Familie in Barmstedt besonders schwer.


Eine Integration der Vertriebenen aus den Ostgebieten Deutschlands hat nie stattgefunden. Sie war auch nicht gewollt, erinnerten doch die Vertriebenen an die Grausamkeiten der NS-Diktatur und somit auch an die eigene Schuld während dieser Zeit. Es wurde auf beiden Seiten geschwiegen und verdrängt. Eher war es eine stille Assimilation. Auch die zahlreichen Flüchtlingsverbände hatten es sehr schwer. Sie wurden oft von den politischen Parteien instrumentalisiert und seit den 1970er-Jahren als Revanchisten gebrandmarkt.


Um nicht weiter aufzufallen, arbeiten die meisten Vertriebenen still und leise an ihrem neuen Leben und versuchten das Grauen der Flucht und der Vertreibung zu vergessen. Damit begann eine zweite Vertreibung, denn mit dem kollektiven Schweigen hat man auch die Erinnerungen an den Osten Deutschlands getilgt. Dieser historische Osten – „das Land der dunklen Wälder und kristall‘nen Seen“ – sollte auf ewig aus dem Gedächtnis verbannt werden. Nicht nur hatten sie nun ihre Heimat und ihren ganzen Besitz verloren, jetzt sollte es auch keine Erinnerung mehr an Städte wie Königsberg, Tilsit, Interburg, Cranz oder Rauschen geben. Ein unermessliches Leid wurde den Flüchtlingen und den Vertriebenen angetan, das zum stillen Schmerz wurde und in nicht wenigen Fällen – bis heute – in vielen Alten -und Pflegeheimen in Deutschland mit dem einsamen Tod endete. So dankt Deutschland dieser Kriegsgeneration. Es ist beschämend.


Glücklicherweise ist die Generation der Kriegsenkel gelassener und nimmt das Erbe ihrer Eltern bewusst an, sodass die Traumata und das Erlebte dieser Kriegsgeneration, die im Grunde stellvertretend für alle Deutschen dieses schwere Schicksal erlitten hat, in der „Erinnerungskultur" lebendig gehalten werden.


Doch noch bis heute besteht ein Graben zwischen denen, die ihre Heimat verloren haben, und jenen, die dieses Schicksal nicht erleiden mussten. Auch ich, als Kriegsenkelin, fühle mich stets in gewisser Weise anders, etwas abseits und oft nicht ganz dazugehörig. Es ist ein Fremdsein im eigenen Land.


Was bleibt, bis heute, ist ein amputiertes, gebrochenes Deutschland, verloren sind der Reichtum, die Schönheit und die Natur einer weiten Landschaft, die raue weite Ostsee, eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft mit seinen Elchen, Trakehnern und dem kostbaren goldfarbenen Bernstein – der historische Osten Deutschlands.


Es gibt weitere Verluste, die nie beziffert wurden. Zusätzlich wurde alles Preußische aus der deutschen Erinnerungskultur ausgelöscht. Zurück bleibt eine zutiefst traumatisierte deutsche Bevölkerung, die mit dem Mantra der Kollektivschuld keine Chance hatte, eine Identität zum Vaterland und einen gesunden Patriotismus zu entwickeln.


Schon damals arbeiteten Medien eng mit den Siegermächten zusammen, um durch Propaganda, insbesondere an Schulen und Universitäten, die Deutschen gezielt in dieser schweren Kollektivschuld zu belassen, diese zu nähren und den Einfluss der USA in Deutschland aufrechtzuerhalten.

Keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.” Diese Worte stammen vom ersten NATO-Generalsekretär Lord Ismay.



Die Leidtragenden der Kriege


Haben wir denn nichts gelernt aus den vergangenen Kriegen? Es scheint, als ob die Menschheit keinen Schritt vorangekommen sei. Wie auch damals bei der Eroberung Ostpreußens, trägt in allen Kriegen die Zivilbevölkerung das größte Leid, vor allem Frauen, Kinder und Ältere. Und ebenfalls, wie im Winter 1944/1945 geschehen Kriegsverbrechen, so auch jetzt im aktuellen Ukraine-Krieg.


Es ist inzwischen bewiesen, dass die Generation der Kriegskinder das Grauen, das Leid und das Elend des Krieges unwissend wiederum an ihre eigenen Kinder weitergeben hat, an die sogenannte Generation der Kriegsenkel, meine Generation.


Somit erschüttert mich die aktuelle Lage in der Welt umso mehr, insbesondere die Situation in Deutschland. Denn mit der offensichtlich mehrheitlichen Befürwortung der Waffenlieferungen in die Ukraine scheint Deutschland nichts gelernt zu haben aus dem Irrsinn der beiden Weltkriege und den Grausamkeiten der Flucht und Vertreibung.


Krieg ist Krieg – und er ist furchtbar, egal welches Land als Anstifter von der Öffentlichkeit ermittelt wurde. Es wird gestorben, Kriegsverbrechen geschehen und die Hauptleidtragenden ist und bleibt immer die Zivilbevölkerung.


Es gab Kriege in Vietnam, Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan und die Terroranschläge vom 11. September, um nur einige der grauenhaften Ereignisse zu nennen. In der Ukraine tobt ein Stellvertreterkrieg zweier Atommächte, Russland und den USA, und das mitten in Europa. Auch hier gehört vor allem die Zivilbevölkerung zu den Leidtragenden. Auch hier kämpfen im Hass und im Wahn der ideologischen Propaganda Menschen gegeneinander. Doch wer bekämpft sich da eigentlich? Ist es nicht im Grunde ein Brudervolk? War nicht die „Kiewer Rus, das altostslawische Großreich, Altrussland oder das Kiewer Russland, die Wiege Russlands, der Ukraine und Belarus?“


Keiner will Krieg


Hass gegenüber Menschen aus anderen Ländern sowie das Schüren von Ängsten sind die effektivsten Propagandawerkzeuge, um die Massen in die gewünschte Richtung zu steuern. Kein Mensch will Krieg – Propaganda steuert die Menschen gezielt in Kriege. Und zahlreiche Industriezweige profitieren.

So tauchen Menschen immer weiter und tiefer ein in Spaltung und Angst, eine tiefgreifende Angst, bei der jegliche Logik, Vernunft und Augenmaß ausgeschaltet ist. Wenn die Emotionen überhandnehmen, wird der Verstand ausgeschaltet – und die Propaganda hat ihr Ziel erreicht.


In der ohnehin schon kriegstraumatisierten deutschen Bevölkerung findet die „German Angst“ einen besonders fruchtbaren Boden.

So werden die Menschen, blindlings gesteuert, ihrer Menschlichkeit beraubt. Wer eine andere Meinung vertritt, etwa zum Coronavirus, zu den damit verbundenen Maßnahmen, zum Ukraine-Krieg, zur Rolle der USA, zur NATO, wird systemisch diffamiert und zensiert, und das nicht nur in Diktaturen und autoritären Regimen.


Zunehmend erschreckendere Bilder kommen aus China. Das autoritäre Land mit der gnadenlosen Zero-Covid-Strategie wird vom Westen zaghaft kritisiert.

Demokratie, Meinungsfreiheit und ein selbstbestimmtes Leben scheinen der Vergangenheit anzugehören. Der Mensch soll zum digitalisierten Objekt werden. Das Sozialkreditsystem findet seinen Weg von China nach Europa.


„Wer nichts kann, geht in die Politik.“


Dieser Satz scheint sich in der Zusammensetzung der aktuellen Regierung widerzuspiegeln. Und wahrscheinlich haben wir gerade jetzt in Deutschland eine Generation an der Regierung, die nicht zu den Kriegsenkeln gehören – denn sonst würden sie wohl nicht lauthals für die Aufrüstung werben. Wer kann ernsthaft glauben, dass Waffenlieferungen zu Waffenruhe und Frieden führen? Durch die Spaltung und Angst wird jeglicher sachliche Dialog verhindert. Unsere Demokratie wurde durch einen Parteienstaat, fast wie der in China, ersetzt. Regierungsvertreter – eigentlich ja Vertreter des Volkes – sichern nicht selten vorrangig ihren eigenen Machtbereich. Um das Volk, um die Menschen und deren Bedürfnisse, geht es schon lange nicht mehr. Die Menschheit verliert zunehmend ihre Menschlichkeit.



Diener der USA


Das Leitmotiv der Bundeswehr lautet: „WIR DIENEN DEUTSCHLAND.“ Aber ist das wirklich so? Wenn dieses Motto erfüllt werden soll, müsste Deutschland zunächst die eigenen Interessen definieren, um somit im Sinne des deutschen Volkes handeln zu können.


Das Problem ist nur, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs systematisch das Mantra der Kollektivschuld aufrechterhalten wurde. Es fehlt an einem gesunden Patriotismus. Somit ist es auch kaum möglich, die eigenen nationalen Interessen zu definieren und anhand derer mit anderen Staaten zu interagieren.


Betrachtet man den heutigen Ukraine-Russland Krieg, dann kann es wahrlich nicht im Sinne Deutschlands sein, ein schlechtes Verhältnis zu Russland zu haben. Ganz im Gegenteil: Deutsche und Russen verbindet eine große, wenn auch teilweise sehr schmerzhafte Geschichte, wie es auch Putin in seiner berühmten Rede im Bundestag im September 2001 formulierte: „… ich möchte betonen, dass die Geschichte wie Ozeane nicht nur trennt, sondern auch verbindet. Es ist wichtig, diese Geschichte richtig zu deuten.


Es gab einen friedlichen Putin, der uns die Hand gereicht hat. Die damalige deutsche Regierung hat diese leider ausgeschlagen.

Wo ständen wir heute, wenn wir auf Putin einen Schritt zugegangen wären, sicherlich nicht quasi kurz vor einem 3. Weltkrieg.


Es ist im Interesse Deutschlands, eine gute politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit Russland zu pflegen, um das geopolitische Gleichgewicht, insbesondere in Eurasien, aufrechtzuerhalten. Gerade die Lage Deutschlands – in der Mitte Europas – verpflichtet dazu. Dies ist nicht im Interesse der USA und Großbritanniens. Ziel der USA ist es, auch weiterhin die Weltführerschaft und Vorherrschaft des Dollars zu sichern. Eine starke deutsch-russische Partnerschaft wäre eine große Gefahr, politisch und wirtschaftlich, zumal dann auch geopolitisch die USA ihren Einfluss in Eurasien verlieren würden.


Eine starke deutsch-russische Allianz würde das geopolitischen Gleichgewicht in den Osten verschieben und Deutschland eine tragende Rolle auf der politischen Weltbühne übertragen. Aber genau das ist nicht gewollt. Um weiter die Kontrolle in Europa und in Deutschland zu behalten, ist es wichtig, Deutschland fest im NATO-Bündnis einzubinden. Die NATO dient einzig und allein den US-Interessen, weder den europäischen noch den deutschen Interessen.


Im Grunde sollten wir Deutsche Russland und insbesondere Gorbatschow dankbar sein für die Wiedervereinigung. Um die anderen westlichen Länder zu beruhigen, musste Deutschland versichern, dass es ein „europäisches Deutschland“ wird und sich in die EU und in die NATO ein bzw. unterordnet. Denn ein erstarktes Deutschland muss mit allen Mitteln verhindert werden. Damit dies nicht von außen erzwungen wird, hat man die deutsche Bevölkerung bewusst auf Europa eingestimmt.


Die Nation

Im Kontext des globalen Wahnsinns kann u.a. der französische Geograph und Geopolitiker Jacques Ancel (1879–1943) eine gute Quelle der Inspiration und der Besinnung sein, um diese Zeiten seelisch einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Ancel hat eine sehr menschliche Vision der französischen Geopolitik geprägt.


Nach ihm ist der Mensch der Schöpfer der globalen Weltordnung und des Miteinanders. Dies ist die Identität des Herzens, zwischen „menschlichen Gruppen ... ein harmonisches Gleichgewicht zu erreichen und ... schließlich Grenzen anzuerkennen, die auf einer gemeinsamen Erinnerung, Geschichte, Kultur und Sprache beruhen".

Es sind also „menschliche Gruppen, die ein harmonisches Gleichgewicht erreichen und letztlich Grenzen anerkennen, die auf einer gemeinsamen Erinnerung, Geschichte und Sprache beruhen". Das Ergebnis ist „eine Nation des Herzens an und für sich, nicht-rational“. Und damit ist der Weg geebnet für das Entstehen „einer Nation des Herzens an sich, nicht rational".


Geschichte ist eine Stärke und keine Schwäche. Nach Ancels Auffassung befinden sich zahlreiche Länder, u.a. Deutschland, Polen und Russland, an der Schnittstelle zwischen willkürlichen Grenzen und Grenzen der Zivilisation. Auf der einen Seite gibt es die sogenannten willkürlichen Grenzen, bei denen es sich um stark belastete, strategische Grenzen handelt, die sich aus militärischen Ansprüchen ergeben haben. Die Grenzen der Zivilisation hingegen sind dauerhafter, da sie auf gemeinsamer Erinnerung, einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Sprache beruhen. Die Grenzen der Zivilisation sind „dennoch komplizierter, weil sie Gegenstand zahlreicher politischer und kommerzieller Interpretationen sind" – auch wenn die kommerziellen Begründungen darauf abzielen, „einen Weg freizumachen" und nicht „einzuschließen", wie es in militärischen Begründungen heißt.


Nach Ancel ist die Grenze „eine politische Isobare, die für eine gewisse Zeit das Gleichgewicht zwischen zwei Druckgebieten festlegt: das Gleichgewicht der Masse und das Gleichgewicht der Kräfte“. Das eigentliche Problem liegt also nicht in der Frage der Grenzen. Denn Grenzen wird es immer geben, insbesondere in einer globalisierten Welt. „Es gibt keine Probleme mit Grenzen. Es gibt nur Probleme der Nation.“ Und in diesem Sinne gilt: „Eine solide Nation, eine Nation in Harmonie, existiert auch ohne sichtbare Grenzen.“


Jacques Ancel plädiert folglich für den Menschen als Schöpfer. „Man revidiert keine Grenzen, es sei denn mit Gewalt; man verändert den Geist bzw. die Einstellung."

Wenn man die heutige Zeit betrachtet, sind wir sehr weit entfernt von dieser sehr wichtigen Veränderung der Einstellung.


Es kann auch hilfreich sein, sich in Erinnerung zu rufen, was Helmut Kohl am 23. Juni 1983 im Bundestag zur Lage der Nation sagte: „… es gibt nur eine deutsche Nation. Ihre Existenz steht nicht in der Verfügung von Regierungen und Mehrheitsentscheidungen. Sie ist geschichtlich gewachsen, ein Teil der christlichen, der europäischen Kultur, geprägt durch ihre Lage in der Mitte des Kontinents. Die deutsche Nation gab es vor dem Nationalstaat und sie hat ihn auch überdauert; das ist wichtig für unsere Zukunft.“




Im Rausch des Bernsteins oder: Die Natur antwortet auf Deutsch


„Kultur hat nie Grenzen gekannt. Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Völker verbunden.“ (nach M. Stürmer, aus der Rede W. Putins 2001 im Bundestag)


Wie sehr dieses Zitat zutrifft, habe ich zu meinem großen Glück selbst erfahren. Als ich zum ersten Mal in die Heimat meiner Vorfahren reisen durfte, in den historischen Osten Deutschlands, nach Ostpreußen, Königsberg (heute: Kaliningrad), und Westpreußen, Schneidemühl (heute: Pila).

Vom ersten Moment an überwältigte mich ein starkes Gefühl der Verbundenheit zu einem Land, das ich nur aus Erzählungen meiner Eltern und meiner Großeltern kannte. Und doch war ich ständig umgeben von einem Gefühl des Déjà-vu – ich kenne das alles, hier war ich schon mal. Ich hörte Polnisch oder Russisch sprechen und doch hatte ich ein Gefühl, als wenn jemand „den Film synchronisiert habe, durch den ich ging“.

Ein innerer Kompass leitete mich liebevoll durch die Straßen von Königsberg und Schneidemühl; ich stand vor dem Elternhaus meines Papas in der Gartenstraße, sah den Garten, in dem er spielte und ging den kleinen Fluss entlang, so wie mein Papa. Ich stand vor dem Tor der verlassenen Kaserne im Kanonenweg in Königsberg; links im Hochparterre war die Wohnung und ich sah das Küchenfenster, aus dem meine Mama als Kind oft raus kletterte, sich am Fenster festhielt und rief „Nehmt mich ab, sonst lasse ich mich fallen“. Ein Soldat immer sofort zur Stelle und half meiner Mama runter. Ich ging, wie meine Mama es mir erzählte, von dort zum Oberteich, wo sie immer ein Eis gegessen hatte. Ich beobachte die Menschen, Polen und Russen, lauschte den Glocken des Königsberger Doms, die wir immer Weihnachten von der Langspielplatte gehört hatten, und als ich feuchten Augen meiner Großeltern sah, spürte ich ihre Sehnsucht „nach dem Land der dunklen Wälder“.

Für mich sind es noch heute ergreifende Momente, an die ich mich immer sehr gerne zurück erinnere. Überall sei es in den historischen Städten in Westpreußen, wie beispielsweise Osterode, Allenstein, Tannenberg, Elbing, Marienburg und Rastenburg, und bis nach Masuren, in Ostpreußen, im ehemaligen Cranz, entlang der Kurischen Nehrung, nach Rossitten, spürte ich eine starke Quelle der Kraft, meine Quelle, die seitdem allgegenwärtig ist. Die Menschen dort, sowohl Polen als auch Russen, waren alle überaus liebevoll, und ich fühlte mich immer willkommen. Sobald sie merkten, dass ich Deutsche bin und meine Familie von hier kommt, wurde freudig auf Deutsch geantwortet. Glücklicherweise war jeglicher Hass verschwunden. Die Landschaft, die Natur und die Kultur verbinden und umhüllen uns alle mit Liebe.

Insbesondere empfand ich dies auf der Kurischen Nehrung, an der rauen Ostsee mit ihren Wellen. Ich rief in den Wind: „Oma, Opa, ich bin wieder zurück!“ Und ich hörte ihr Lachen. Und als ich durch den „Wald der tanzenden Bäume“ ging, wo der Wind durch die Bäume rauschte, blickte ich auf in den Himmel und die Natur antwortete auf Deutsch – Identität des Herzens.


Zurück zu meinen Wurzeln



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